Baugeschichte

Der barocke Stiftsbezirk St.Gallen, erbaut als benediktinisches Kloster und fürstäbtische Residenz, diente seiner ursprünglichen Bestimmung nur wenige Jahrzehnte bis zur Klosteraufhebung 1805. Trotzdem kann er noch heute als geistliches und weltliches Zentrum derjenigen Gebilde gelten, die mit dem Namen und in wesentlichen Teilen auch territorial den Fürstabt beerbt haben: Kanton und Bistum St.Gallen. Die Schätze auf Pergament aber verbinden den modernen Staat und die heutige Kirche mit ihren Wurzeln bei den Heiligen, Otmar und Gallus.

Konventsgebäude

Südlich schliesst an die Kathedrale die dreiflüglige Anlage der Konventbauten von 1674 und 1758 an, die noch den mittelalterlichen Kreuzgang nachzeichnet. Im Westflügel liegt die Stiftsbibliothek mit ihrem Prunksaal in feinster Rokokogestaltung. Er wurde 1758–1762 erbaut und ausgestattet von den an der Kathedrale tätigen Künstlern Peter Thumb (Architektur), Br. Gabriel Loser (Holzarbeiten) und Josef Wannenmacher (Gemälde).

Hofflügel

Von den Konventbauten gegen Osten erstreckt sich der den Klosterhof südlich begrenzende Hofflügel, erbaut 1666/67 von den Bündner Architekten Giovanni Serro und Giulio Barbieri. Er enthält anschliessend an das Konventgeviert die Wohnung des Abtes (heute des Bischofs) mit zwei Kapellen aus der Bauzeit und einem Festsaal mit Régence-Stukkaturen. Der Ostteil des Hofflügels diente zu Klosterzeiten als Gästetrakt und enthält das 1752/53 von Andreas Bentele aus Lindau mit Stuckmarmor versehene Tafelzimmer, den Speisesaal der Gäste.

Kathedrale

Die Kathedrale ist das Herz der gesamten Anlage. Der relativ nüchterne Baukörper, mit der zwischen Langhaus und Chor eingefügten Rotunde als Schwerpunkt, entfaltet gegen Osten mit den beiden Türmen und dem plastisch durchgeformten Mittelteil eine reiche sandsteinerne Schaufassade. Diese richtet sich nicht gegen die seit 1566 vom Kloster durch Schiedmauer getrennte Stadt, sondern in das Innere des Klosterhofes und gegen die neue Pfalz, den Sitz der äbtischen Landesverwaltung. Die Form der Kirche geht auf ein Projekt von Johann Caspar Bagnato von 1750 zurück. Die Ausführung erfolgte 1755–1766 unter der Leitung von Peter Thumb und Johann Michael Beer von Bildstein. Die Skulpturen an Fassade und Rotunde stammen von Christian Wenzinger und Josef Anton Feuchtmayer. Im Innern bilden Langhaus und Chor die beiden ruhigen Arme der beherrschenden, schwungvollen Rotunde. Die helle Architektur wird bespielt mit der geschnitzten Ausstattung Josef Anton Feuchtmayers, den türkisfarbenen Stukkaturen und den ockerfarbenen Stuckfiguren und -reliefs von Christian Wenzinger. Ausgehend von der zentralen Kuppel durchströmt in den Deckengemälden Josef Wannenmachers ein rauchiger Benediktinerhimmel die Gewölbezone. Er verleiht dem Bau seine charakteristische, den ganzen Kirchenraum umfassende ehrfürchtige Stimmung. In ihrer ernsten und ruhigen Art steht die St.Galler Kathedrale, eines der letzten grossen Sakralbauwerke barocken Charakters, an der Schwelle vom Rokoko zum Klassizismus.

Neue Pfalz

Es folgt als östlicher Abschluss des Klosterhofs die neue Pfalz, erbaut 1767–1769 von Johann Ferdinand Beer. Im obersten Geschoss des Mittelrisalits liegt der erst 1786/87 reich ausgestattete Thronsaal des Fürstabtes; hier rief Karl Müller-Friedberg 1803 den neu geschaffenen Kanton St.Gallen aus.

Pfalzkeller

1998–1999 erhielt die Verwaltung durch die Nutzbarmachung des langgezogenen Gewölbekellers unter der neuen Pfalz einen grosszügigen Versammlungsraum. Santiago Calatrava legte vor den bestehenden Keller ein halbrundes unterirdisches Foyer in den ehemaligen Klostergarten. Der Zugang erfolgt von aussen über eine Rampe, die dank eines bodenebenen Deckels den Freiraum nicht beeinträchtigen sollte. Bei den alten Kellern suchte man möglichst ohne Eingriffe in Mauerwerk und Fundamente auszukommen, indem man die ganzen technischen Installationen in den Boden verlegte. Foyer und Keller stehen der Öffentlichkeit für verschiedenste Anlässe zur Verfügung und tragen zur Belebung des Stiftsbezirks bei.

Zeughausflügel, Schutzengelkapelle, katholisches Primarschulhaus

Wegen der Aufhebung des Klosters 1805 unterblieb vorerst eine adäquate Bebauung an der Nordseite des Klosterhofs. Erst nachdem 1828 die Schiedmauer zwischen Kloster und Stadt abgebrochen worden war, erhielt der Platz innerhalb eines Jahrzehnts seine definitive Gestalt. Felix Wilhelm Kubly erbaute 1838–1841 den Zeughausflügel in Neurenaissanceformen, 1843–1846 die Kinder- oder Schutzengelkapelle und 1840 (nach einem Projekt von Hans Conrad Stadler) das katholische Primarschulhaus, den westlichen Abschluss dieser nun zur Stadt hin durchlässigen Gebäudefolge. Noch in den 1960er Jahren hingegen wäre beinahe Kublys Zeughausflügel abgebrochen worden. 1975–1979 wurde dieser dann zur Unterbringung von Staats- und Stiftsarchiv sowie Verwaltungsbibliothek und Kantonsgericht innen umgestaltet und rückseitig mit einem versenkten Anbau erweitert (Brantschenbau).

Text aus: Flury-Rova, Moritz: Welterbestätte Kloster St.Gallen: der Stiftsbezirk St.Gallen – Kantonsregierung, Bischof und karolingische Handschriften unter einem Dach. In: UNESCO-Welterbe, 2004, S. 143–148.

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