Denkmalpflege
Erforschen, erhalten, vermitteln
Die Denkmalpflege steht im Spannungsfeld zwischen dem Erhalt des Kulturdenkmals mit dem historischen Zeugniswert und den Veränderungen durch den sinnvollen Gebrauch. Beide Pole sind notwendig, um dem Kulturobjekt seine Existenz zu ermöglichen und sichern. Der Status UNESCO-Welterbe verschafft Nachdruck im Schutz und Begehrlichkeit in der Vermittlung. Eine Zerreisprobe?
Der Managementplan zum UNESCO-Weltkulturerbe Stiftsbezirk St.Gallen 2017–2020 ist sicher ein wichtiges Instrument, um sich dieser Herausforderung zu stellen.
Gehen wir vorerst noch einen Schritt zurück: «Pflegen und Schützen kann man nur, was man kennt.» Dieser Leitsatz von Bernhard Anderes (1934–1998), einem der Pioniere der St.Galler Denkmalpflege, war der Ansporn, die aktuelle Lücke in der bauhistorischen Erfassung des Stiftsbezirks zwischen der Klosteraufhebung und der Neuzeit zu schliessen. Das Wissen über die bauliche Entwicklung der ganzen Anlage und deren Hintergründe ist unerlässlich, um den langfristigen Erhalt und den sinnvollen Gebrauch nachhaltig zu gestalten. Schliesslich blickt allein die Klosteranlage auf eine über tausendjährige Geschichte zurück, hat dabei eine Stadtgründung ausgelöst und übt noch heute einen starken Einfluss auf die kulturelle und bauliche Entwicklung des ganzen städtischen Siedlungsgebietes aus.
Worin besteht das
denkmalpflegerische Schutzbedürfnis eines Kulturobjektes im Allgemeinen
und des Stiftsbezirkes im Speziellen? Neben den unzähligen kleinen
Anpassungsbedürfnissen praktischer Natur durch die Benutzer kann der
Stiftsbezirk grösseren baulichen Beeinträchtigungen in der direkten und
der weiteren Nachbarschaft ausgesetzt sein. Dazu sind rund um den
Perimeter des Stiftes Zonen mit einschränkenden Spielregeln zur
baulichen und nutzungsmässigen Entwicklung angeordnet worden. Zusätzlich
sollen klar definierte Sichtachsen die identitätsprägenden Silhouetten
erhalten.
Die Erfordernisse der vielfältigen Nutzung durch das Bistum, die Pfarrei, die Staatsverwaltung, den Konfessionsteil, die Schule und die Kulturinstitutionen sind immens. Ihnen angemessen gerecht zu werden und dabei den hohen Schutzanforderungen Folge zu leisten, ist nicht zuletzt die Aufgabe der Denkmalpflege. Dabei wollen wir uns aber vor Augen halten, dass auch die ursprüngliche Nutzung als Kloster enorme bauliche Veränderungen verursacht hat.
Der heute sichtbare Bestand ist zwar nicht minder wertvoll, zeigt aber lediglich noch das letzte Viertel der ganzen Baugeschichte. Das zeugt vom Selbstbewusstsein der Entscheidungsträger des ehemaligen Klosters. Das Resultat ist aber nicht bloss ein Manifest von Mut, Macht und materiellen Gütern. Es ist auch das Zeugnis einer gelebten Kultur und es verschafft der ganzen Region eine Identität. Die Denkmalpflege kommt dabei nicht an unbequemen Fragen vorbei, zum Beispiel: Hätten wir heute dem Abbruch der romanischen und gotischen Vorgängerbauten als Opfer für die prächtige Barockkirche zugestimmt?
Michael Niedermann, Leiter kantonale Denkmalpflege
Weitere Informationen zur Denkmalpflege des Kantons St.Gallen