Abrogans
Abrogans, um 790 (Stiftsbibliothek St.Gallen, Cod. Sang. 911, S. 319–320)
Zufälle der Überlieferung
Der St.Galler Abrogans ist das älteste überlieferte deutsche
Buch mit der ältesten Version des Vaterunsers, des christlichen Grundgebets, in
Althochdeutsch. Die Handschrift enthält drei verschiedene Texte. Den meisten
Raum nimmt mit fast 300 Seiten ein Synonymwörterbuch ein. Es erklärt schwer
verständliche lateinische Begriffe mit Synonymen in geläufigerem Latein und übersetzt
beide Wörter jedes Begriffspaars ins Althochdeutsche. Dann folgt ein
dogmatischer Text des Gennadius von Marseille († 496) über den Glauben. Erst
auf der vorletzten Seite steht schliesslich das berühmte «Fater unseer» und auf
der letzten Seite das Credo, das christliche Glaubensbekenntnis, ebenfalls
in Althochdeutsch.
Der Abrogans verdankt seinen Titel dem ersten lateinischen Begriff im Synonymwörterbuch. Abrogans wird dort mit dem geläufigeren humilis gleichgesetzt und mit «bescheiden» und «demütig» übersetzt. «Bescheiden» ist auch die Aufmachung des Buchs. Lediglich 17 × 10,5 Zentimeter gross, hat es als reine Gebrauchshandschrift keinerlei repräsentativen Charakter. Es besteht aus qualitativ minderwertigen Pergamentrandstücken von unregelmässigem Schnitt und mit vielen Löchern. Dies soll Sie aber nicht davon abhalten, Ihr Augenmerk auf die Seite mit dem Vaterunser zu richten.