Eine Urkunde als Liebesbrief?
Nein, Urkunden sind keine Liebesbriefe, sondern schriftliche Regelungen rechtlicher Angelegenheiten. Und doch erzählen sie manchmal auch von Liebe. In dieser Herrscherurkunde bestätigt der erst siebzehnjährige Sohn von Kaiser Otto I., der gleichnamige Otto II., die Immunität des Klosters St.Gallen und sein Recht auf freie Abtwahl. Immunität bedeutet, dass das Kloster direkt dem Schutz des Kaisers unterstellt ist und nicht etwa dem Bischof von Konstanz. Dies erlaubt es dem Abt, innerhalb seines Territoriums autonom zu regieren. Die freie Abtwahl wiederum stellt sicher, dass ein Abt klosterintern aus den eigenen Ordensleuten bestimmt wird.
Diese Urkunde regelt also Machtverhältnisse. Und trotzdem verrät sie uns auch etwas über die grosse Zuneigung Ottos II. zu seiner Gemahlin Theophanu, die er wenige Monate zuvor in Rom geheiratet hat und deren Namen erstmals in einer Urkunde auftaucht. Theophanu war eine byzantinische Prinzessin und als Nichte des oströmischen Kaisers eine Purpurgeborene. Obwohl ihre Verbindung einen machtpolitischen Hintergrund hatte, deutet nicht allein diese Urkunde darauf hin, dass Otto II. Theophanu liebte und dass sie als Kaiserpaar zusammen regierten. Lesen Sie selbst!